Texte der Zen-Meister

Die Zen-Meister haben ihre Erfahrung in Koans und Mondos gefaßt. Ein Koan ist ein logisch nicht lösbares Problem, das dem Meditationsschüler vom Zen-Meister für seine Meditation als Übung gegeben wird und dessen Lösung der Meister verlangt. Mondos sind kurze Dialoge zwischen Schüler und Meister, in denen die Essenz des Zen sichtbar wird.

Ebenso wie das Koan soll auch das Mondo dem Schüler dabei helfen, die Wirklicheit zu realisieren. Im Folgenden habe ich einige Mondos und Koans aufgenommen, die mich auf meinem Übungsweg begleitet haben und begleiten;

Zwei Mönche betrachteten eine Fahne, die über dem Klostertor im Wind flatterte.
"Die Fahne bewegt sich", sagte der eine.
"Nein", erwiderte der andere, "nicht die Fahne bewegt sich.
Der Wind bewegt sie."
In diesem Augenblick kam der sechste Patriarch vorbei.
"Weder die Fahne bewegt sich", sagte er, "noch der Wind.
Eure Herzen bewegen sich!"
Da erschraken die Mönche.

Quelle: Zen. Aussprüche und Verse der Zen-Meister. Insel-Verlag, Frankfurt a.N. 1978, S. 10f


Buddha erzählt in einer Sutra die folgende Parabel:

Ein Mann, der über eine Ebene reiste, stieß auf einen Tiger. Er floh, den Tiger hinter sich. Als er an einen Abgrund kam, suchte er Halt an der Wurzel eines wilden Weinstocks und schwang sich über die Kante. Der Tiger beschnupperte ihn von oben. Zitternd schaute der Mann hinab, wo weit unten ein anderer Tiger darauf wartete, ihn zu fressen. Nur der Wein hielt ihn.
Zwei Mäuse, eine weiße und eine schwarze, machten sich daran, nach und nach die Weinwurzel durchzubeißen. Der Mann sah eine saftige Erdbeere neben sich. Während er sich mit der einen Hand am Wein festhielt, pflückte er mit der anderen die Erdebeere. Wie süß sie schmeckte!

Quelle: Paul Reps, Ohne Worte - ohne Schweigen. 101 Zen-Texte. Bern, München, Wien 61987, S.40


Lied auf Zazen
von HakuinZenji

Alles Seiende ist seiner Natur nach Buddha,
wie Eis seiner Natur nach Wasser ist.
Getrennt vom Wasser gibt es kein Eis,
getrennt vom Seienden kein Leben des Buddha.

Wie traurig, daß die Menschen das Nahe nicht achten
und die Wahrheit in der Ferne suchen:
Wie einer, der mitten im Wasser aufschreit vor Durst,
wie ein Kind aus wohlhabendem Hause,
das umherirrt unter den Armen.

Verloren auf des Unwissens dunklen Pfaden
zieh wir dahin durch die sechs Welten,
von dunklem Pfad zu dunklem Pfad.
Wann werden wir frei von Geburt und Tod?

O Zazen des Mahayana! Ihm sei höchstes Lob!
Mildtätigkeit, Gebote, die vielen Paramitas,
das Wiederholen des Namens Buddha, Zerknirschung, Übung
und zahllose andere gute Werke -
haben ihren Ursprung darin.

Wer nur einmal Zazen versucht,
löscht zahllose vergangene Sünden.
Wo sind die dunklen Pfade geblieben?
Das reine Land ist nicht fern.

Wer nur einmal diese Wahrheit hört
und ihr dankbaren Herzens lauscht,
sie preist, sie verehrt,
erlangt Segnungen ohne Ende.

Jene aber, die sich nach innen weden
und die Selbst-Natur bezeugen,
die Selbst-Natur, die eine Nicht-Natur ist,
gehn über bloße Lehren weit hinaus.

Das Tor der Einheit von Ursache und Wirkung öffnet sich.
Der Weg, der weder zwei noch drei ist, führt geradeaus.
Als Form, die Nicht-Form ist, sind wir nie irgendwo anders,
ob wir kommen oder gehen.
Als Gedanke, der Nicht-Gedanke ist,
sind selbst Gesang und Tanz
die Stimme des Dharma.

Wie grenzenlos frei der Himmel des Samadhi!
Wie hell der Mond der vierfachen Weisheit!
Fehlt noch etwas in diesem Augenblick?
Nirvana vor unseren Augen.
Das Lotus-Land an diesem Ort.
Dieser Leib, das Leben des Buddha.

Quelle: Sutrenbuch des Sonnenhof, Holzinshaus 1, 79677 Aitern


Shinjin Mei
Verse über den Glaubensgeist von Seng-t`san

Der höchste Weg ist nicht schwer,
wenn du nur aufhörst zu wählen.
Wo weder Liebe noch Haß,
ist alles offen und klar.
Aber die kleinste Unterscheidung
bringt eine Distanz wie zwischen Himmel und Erde.
Soll Es sich dir offenbaren,
laß alle Abneigung beiseite.
Der Konflikt zwischen Neigung und Abneigung
ist eine Krankheit des Geistes.
Wird diese tiefe Wahrheit nicht verstanden,
versuchst du vergeblich, deine Gedanken zu beruhigen.

Der Weg ist vollkommen wie leerer Raum,
ohne Mangel und ohne Überfluß.
Nur wenn du wählst und zurückweist,
geht das So-Sein verloren.
Jage nicht äußeren Erscheinungen nach,
verharre auch nicht in der Erfahrung der Leerheit.
Bleibe gelassen im Einen,
und alle Verwirrung verschwindet von selbst.
Stellst du das Tätigsein ein
und kehrst zur Ruhe zurück,
ist dieses Bemühen nur selbst wieder Tätigkeit.
Wie willst du je das Eine erfahren,
wenn du in die Zweiheit verstrickt bleibst?
Wer ins Eine nicht vordringt
wird in keinem Bereich daheim sein.
Existenz zu verachten heißt,
Existenz zu verlieren.
Der Leerheit zu folgen heißt,
sich gegen die Leerheit zu wenden.

Je mehr Worte und Gedanken,
desto weiter entfernt von der Wirklichkeit.
Schneide Worte und Gedanken ab,
und es durchdringt alles.

Kehrst du zur Wurzel zurück,
erfaßt du die Wahrheit.
Hängst du der Erscheinungswelt nach,
verfehlst du das Wesen.
Ein Augenblick innerer Erleuchtung
trägt über die erste Leere hinaus.
Veränderungen in dieser relativen Leere
sind nichts als Täuschungen.

Kein Grund, die Wahrheit zu suchen.
Laß alle deine Meinungen fahren.
Zwiespältigkeit halte nicht fest.
Sei achtsam und folge ihr nicht.
Nur eine Spur von richtig und falsch,
und der Geist ist in Wirren verloren.

Weil es das Eine gibt, existieren die Zwei,
doch halt' auch nicht fest an dem Einen.
Wenn der Geist der Einheit nicht entsteht,
sind die zehntausend Dinge nicht schuld.
Wo keine Schuld ist, ist auch kein Ding.
Das Subjekt vergeht mit dem Objekt.
Das Objekt vergeht mit dem Subjekt.
Das Objekt ist Onjekt wegen des Subjekts.
Das Subjekt ist Subjekt wegen des Objekts.
Willst du beide Ebenen kennen:
Sie sind ursprünglich die eine Leerheit.
Die eine Leerheit ist die gleiche in beiden.
In gleicher Weise enthalten sie alle Dinge.
Unterscheidest du nicht zwischen fein und grob,
wie kann es dann Vorurteile geben?

Der große Weg ist dem Wesen nach weit.
Nichts ist leicht, nichts schwierig.
Engherzige Ansicht führt zu Besorgnis.
Je mehr du eilst, umso länger brauchst du.
Hängst du an solchen Ansichten,
verlierst du das Maß und gehst in die Irre.
Laß los, und alles ist natürlich.
In der Wesensnatur gibt es kein Kommen und Gehen.
Handle gemäß deiner Natur,
und due stimmst mit dem Weg überein;
gehst ihn gelassen und frei ohne Sorge.

Gedanken lenken ab von der Wahrheit.
Aber ein dumpfer Geist führt auch nicht weiter.
Wenn du verabscheust, verwirrt sich der Geist.
Was hilft es schon, für oder gegen etwas zu sein?
Wenn du das eine Fahrzeug nehmen willst,
hege keine Abneigung gegen die Welt der Sinne.
In der Tat, wer die Sinneswelt nicht haßt,
ist eins mit der wahren Erleuchtung.

Der Weise hat keine Ziele,
die Unwissenden lassen sich fesseln,
denn obwohl es einen Unterschied zwischen
den Dingen nicht gibt,
bleiben sie an manchem hängen.
Ist das nicht ein gewaltiger Fehler?
Ruhe und Unruhe kommen aus der Illusion,
Erleuchtung kennt weder Vorliebe noch Abneigung.
Alle dualistischen Ansichten
kommen aus falschen Schlüssen.
Sie sind Träume, Phantasien und Flecken vor deinen Augen.
Warum versuchst du, sie zu fassen?
Gewinnen und verlieren, richtig und falsch,
laß sie ein für allemal ziehen.

Wenn die Augen nie schlafen,
hören die Träume von selbst auf.
Wenn der Geist nicht unterscheidet,
sind alle Dinge das eine So-Sein.
Das Wesen dieses einen So-Seins ist ein Geheimnis:
Unbewegt; karmische Bindungen sind vergessen.
Siehst du alle Dinge gleich,
kehren sie heim zum natürlichen Sein:
Ursachen verschwinden, Vergleiche sind nicht möglich.

Bewege dich nicht, und die Bewegung hört auf.
Bringe Ruhe in die Bewegung, und es gibt keine Ruhe.
Wenn beide nicht sind, kann eines dann sein?
Im Absoluten sind keine Regeln.
Der Geist, im Einklang mit ihm, wird unparteiisch
und hört auf zu planen und zu streben.
Wenn Zweifel und Argwohn ausgeräumt,
ist wahrer Gleube bestätigt und fest.

Alle Dinge sind vergänglich,
nicht notwendig, sie sich zu merken.
Leer, klar und selbstleuchtend
bemüht der Geist sich nicht.
Das ist der Platz des Nichtdenkens,
schwer auszuloten mit Intellekt und Gefühl.

In der Dharmawelt des So-seins
ist kein Anderes und kein Ich.
Wenn mann dich bittet, es sofort zu erklären,
kannst du nur sagen: "Nicht-Zwei".
Wenn Nicht-Zwei, dann ist alles gleich;
nichts, was nicht eingeschlossen wäre.
Die Weisen der zehn Richtungen
sind alle in diese Weisheit eingetreten.
Es ist jenseits von Ausdehnung und Zusammenziehung.
Ein Augenblick der Wahrnehmung ist zehntausend Jahre.
Weder Sein noch Nichtsein,
das ganze Universum liegt vor deinen Augen.
Das unendlich Kleine ist gleich dem Großen,
Grenzen sind verschwunden.
Das unendlich Breite ist gleich dem Schmalen,
keine Teilung ist sichtbar.

Sein ist nichts anderes als Nichtsein.
Nichtsein nichts anderes als Sein.
Wenn es für dich nicht so ist,
bleib keinesfalls in diesem Bewußtseinsstand.
Alles ist eins, eines ist alles.
Wenn du das erfährst,
warum ängstigst du dich dann, Vollendung nicht zu erreichen?

Der Glaubensgeist ist Nicht-Zwei.
Nicht-Zwei ist der Glaubensgeist.
Worte gehen fehl, es zu benennen.
Es ist nicht von der Vergangenheit,
der Zukunft oder Gegenwart.

Quelle: Sutrenbuch des Sonnenhof, Holzinshaus 1, 79677 Aitern


Zen-Abendspruch

Aus tiefstem Herzen sage ich Euch allen:

Leben und Tod sind eine ernste Sache.

Alle Dinge vergehen schnell,

und kein Verweilen kennt der Augenblick.

Jeder von Euch sei wachsam,

keiner sei nachlässig, keiner vergeßlich.